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#FrauenErzählen: Anastasia hat die Krise in Griechenland miterlebt

Regelmäßig kommen unterschiedliche Frauen in der Rubrik #FrauenErzählen im Blog zu Wort und erzählen aus ihrem Leben. Was ist deine Geschichte?

Frauen erzählen Griechenland

“Und ich dachte, du willst nicht mit mir befreundet sein, weil ich Griechin bin und du Deutsche.” Willkommen im Europa der Zehner, wo wiraufgrund von politischen Entscheidungen und der Medien unsere Freundschaften wählen. Dieser Satz meiner griechischen Freundin, Anastasia bohrte sich tief in mein Herz, es bewegt mich noch heute, denke ich an diese traurigen Worte.

Durch mein Studium konnte ich viele Menschen von überall auf der Welt kennenlernen. Ich bin dankbar für diese Begegnungen und Freundschaften. Mit Anastasia habe ich in Jyväskylä studiert. Mir würde nie der Gedanken kommen, einen Menschen aufgrund seiner Herkunft abzuweisen. Im Gegenteil, ich fand es sofort spannend von ihr und ihrem Heimatland zu hören. Auch ich hatte viel über die Krise in Griechenland gehört, doch erst Anastasia gab den Berichten ein Gesicht.

Anastasia entschloss sich in Finnland zu studieren unabhängig von der Krise, sie wollte ins Ausland und fand einen für sie interessanten Studiengang. Sie lebt nach ihrem Abschluss noch immer in Finnland, weil sie ihre (beruflichen) Chancen hier als besser empfindet.

Ich freue mich, dass sie mir Fragen beantwortet hat und erzählt wie sie die Finanzkrise in Griecheland erlebt (hat). Ich finde es wichtig verschiedenen Stimmen zu zuhören und bin gespannt was ihr über ihre Erzählungen denkt. Ich freue mich über eine Rückmeldung. Ihr könnt gerne einen Kommentar in Englisch für Anastasia hinterlassen. Ich weiß, dass es sie freuen wird.

Das Interview habe ich aus dem Englischen übersetzt.

Wann haben du und deine Familie das erste Mal gemerkt, dass es eine (Finanz-) Krise in Griechenland gibt?

Anastasia: Das war ein bisschen vor 2008. Die politische Situation war sehr angespannt und einige Finanzskandals kamen ans Tageslicht. 2008 starb ein 15-Jähriger in Athen* durch Polizeigewalt. Die Menschen begannen das Regime zu hinterfragen. Es gab ununterbrochen gewalttätige Demonstrationen, weitere Finanzskandale wurden veröffentlicht.

Daraufhin begannen wir immer mehr zu realisieren, dass etwas deutlich schief läuft. Kurz darauf wurden finanzielle Maßnahmen unternommen und schnell waren wir das schwarze Scharf der Europäischen Union.

*”Die Wut der jungen Generation” Zeit 9.12.2008

Wie lange dauerte es, bis die Krise dich persönlich betraf?

Ich glaube es dauerte gut zwei Jahre, bis wir richtig betroffen waren. Die Arbeitslosenzahlen wuchsen rasch, die Atmosphere im ganzen Land fühlte sich immer depremierender an.

Wie hat die Finanzkrise dein Leben verändert?

Ich habe diese Einflüsse sehr stark und unterschiedlich bemerkt, gerade psychologisch. Ich persönlich habe mich auf einmal unsicher und hoffnungslos gefühlt, eine Zukunft war nicht in Sicht. Natürlich musste ich für sehr wenig Geld arbeiten.

Zu der Zeit habe ich Englisch unterrichtet und mein Chef sagte zu uns, dass er unser Gehalt plötzlich auf fünf Euro die Stunde kürzen muss. Und, dass wir noch froh sein sollten, andere bekommen nur drei Euro. Es gab keine Möglichkeit davon eine Krankenversicherung zu zahlen. Welche Wahl hat man, wenn man für das Geld auch Essen kaufen muss?

Die Atmosphere im Land wurde deprimierend und hoffnungslos. Wir alle wussten, dass es Korruption gab, aber die vorgeschlagenen Maßnahmen von der EU oder die finanziellen Unterstützungen halfen überhaupt nicht gegen die Korruption. Die Armen wurden ärmer und die Reichen wurden reicher. Ich verlor mein Vertrauen in die Politik, es gab keine Transparenz, keine Gerechtigkeit.

Wir Griechen wurden von der ganzen Welt verspottet und die Situation im Land wurde immer schlimmer. Besonders der Aufschwung der „goldenen Morgenröte“* lässt mich unsicher fühlen und ich zweifel über unsere Zukunft.

*Prozess gegen “Goldene Morgenröte”-Anführer beginnt Spiegel 19.04.2015

Frauen erzählen Griechenland
Gewitter über Athen

Wie sind deine Erfahrungen im Ausland als Griechin? Wie treten Menschen dir gegenüber?

Die Medien ändern oft die Fakten. Griechenland wurde schlecht dargestellt, das weiß ich. Es gibt immer noch viele Probleme in Griechenland, die Art wie die Medien arbeiten lässt oft Informationen und wichtige Details aus.

Der springende Punkt ist, die Krise hat nichts gegen die Korruption getan. Im Gegenteil, sie hat die Korruption unterstützt. Die Situation im Land ist kompliziert und es ist schwer sie korrekt darzustellen. Dies braucht kritisches Hinterfragen und es gibt keine simplen Antworten zur Lösung. Allerdings wünsche ich mir, dass alle Griechen als Einzelperson gesehen werden und ohne Vorurteile betrachtet werden.

Oft zögere ich und möchte meine Nationalität nicht preisgeben, zum Beispiel im Fitnessstudio. Ich spreche selten mit anderen Menschen. Ich möchte nicht, dass sie mir Fragen stellen oder mich verurteilen aufgrund meiner Herkunft.

Es kam einige Male vor, dass ich Sachen hörte wie: „Oh, ich war im Urlaub in Griechenland und es gab keine Quittung.“ (Dadurch können Steuern etc. umgangen und mehr Einnahmen erzielt werden. Anmerk. d. Übers.) Was kann ich schon dazu sagen? Ich würde dazu gerne sagen, dass ich in Griechenland gelebt habe und weitaus schlimmeres gesehen habe, doch ich sage lieber gar nichts. Aber solche Kommentare können passieren oder auch nicht.

Generell würde ich sagen, dass ich zögerlich behandelt werde, auf der anderen Seite aber auch mit Akzeptanz. Es freut mich, wenn Menschen über Griechenland diskutieren wollen. Ich finde es interessant zu hören, wass sie zu sagen haben. Ein vernünftiger Dialog, ohne Diskriminierung, ein klarer, ehrlicher Austausch, in dem beide Seiten höflich miteinander Meinungen austauschen, das wünsche ich mir.

Was ist dir wichtig, das andere über die Situation in deinem Heimatland wissen? 

Zuallererst, möchte ich was Offensichtliches sagen, niemand ist gleich. Man kann nicht alle Menschen gleich behandeln. Ich denke zum Bespiel nicht wie meine Eltern oder meine Schwester. Jede/r Grieche/in ist individuell mit eigenen Erfahrungen. Natürlich vereint uns die Kultur, Sprache und das geographische Gebiet, das gibt uns Gemeinsamkeiten. Doch wie in jedem anderen Land auch, es gibt gute, schlechte, faule, schlaue, hart arbeitende, ehrliche, schöne und weniger schöne Menschen. In Griechenland gibt es all diese Menschen.

Für mich ist es auch sehr wichtig zu sagen, dass ich noch nie härter arbeitende Menschen als die Griechen gesehen habe. Viele sind gezwungen zehn oder zwölf Stunden zu arbeiten, ohne Pause für wenig Geld. Ich bin wirklich stolz auf diese Menschen. Ich freue mich über Griechen, die ins Ausland gegangen sind, Akzeptanz und Wertschätzung für verschiedene wissenschaftliche Beiträge in allen möglichen Bereichen ernteten.

Wir lieben unsere Familien, die Familie ist sehr bedeutend in Griechenland. Wir können alles aufgeben für unsere Familie. Allgemein gesagt, wir sind positiv, auch wenn ich enttäuscht wurde, ich möchte das Gute an meinem Land sehen.

Auf die Situation der Finanzkrise geblickt, möchte ich unterstreichen, dass die Menschen in Griechenland unter der Situation leiden und die Korruption weiter geht und besonders die Schwachen davon beeinträchtigt sind. Wenn Menschen wirklich wissen wollen was passiert, dann sollten sie sich nie mit einfachen Antworten abspeisen lassen und immer wieder nach dem Warum fragen. Beschäftige dich mehr mit dem Thema und suche dir Informationen von verschiedenen Quellen.

Kannst du dir vorstellen jemals nach Griechland zurück zu ziehen?

Das ist eine schwere Frage, da ich Finnland sehr mag. Tief in mir würde ich immer mein Heimatland vermissen, die Sonne, den Wind und das Meer. Ja, ich würde gerne zurück gehen, aber derzeit ist dies unmöglich. Unsere Gesellschaft ist durcheinander und desorientiert. Ich wüsste nicht, wie ich dort klar kommen würde.

Ehrlich, es gibt keine klare Antwort. Meine Gefühle sind gemischt. Denke ich an die Situation in Griechenland macht es mich traurig, doch bin ich auch eine stolze Griechin und dafür werde ich immer aufstehen und die Hoffnung.

Bilder von Pixabay.com (1, 2)

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  1. Ein spannender Einblick, vielen Dank an Euch beide! Bei uns im Haus wohnen Nachbarn aus Griechenland. Vor ihrer Zeit in Berlin haben sie in Mexiko gewohnt, nun gehen sie zurück nach Athen. Darüber bin ich traurig, weil ich sie sehr mag, als Menschen, unabhängig davon, wo sie herkommen. Es ist schade, dass man das heute noch dazu sagen muss. Liebe Grüße, Svenja

    1. Man denkt, dass gerade durch die Globalisierung die Welt mehr zusammen gewachsen ist. Derzeit fühlt es sich irgendwie genau wie das Gegenteil an.
      Freut mich, dass dich der Artikel interessiert hat. 🙂
      LG, Lara

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